Als neulich im Radio die anstehende Übergabe der Elbphilharmonie an die Stadt Hamburg verkündet wurde, musste ich sofort an Webprojects gone wrong denken. Warum das denn, werdet ihr fragen. Und was hat das alles mit überteuerten Kulturbunkern im Hohen Norden zu tun? Erklär ich euch.
Eins der 3 deutschen Katastrophen-Bauprojekte ist die Elbphilharmonie in Hamburg. Während der Flughafen BER in Berlin-Schönefeld und der Bahnhof Stuttgart 21 einer ungewissen Zukunft entgegendümpeln, Unsummen verschlingen und am Label made in germany gewaltige Kratzer verursachen, wurde das Konzerthaus in Hamburg schlussendlich fertiggestellt und nach und nach den verschiedenen Nutzungen freigegeben. Allerdings sind auch hier die ursprünglich veranschlagten Kosten explodiert und eine Zeit lang sah es auch so aus, als bliebe das eine Bauruine in der Hafencity.
Nun nähert sich sogar die Bauabnahme und das erste Konzert soll im Januar 2017 dort abgehalten werden. Somit haben wir jetzt auch eine ungefähre Übersicht über die tatsächlichen Baukosten und die Abweichungen bei diesen und der Bauzeit.
Es ist ja noch nicht einmal 10 Jahre her, da wurden die Kosten der Elbphilharmonie für die Stadt Hamburg und somit für den Steuerzahler mit gerade mal 77 Mio. EUR beziffert. Das ist eine beliebte Vorgehensweise, um nicht schon zu Beginn den Unmut der Bevölkerung (die ja letztlich zahlt) zu wecken. Diese Summe ist mehrmals in Nachverhandlungen erhöht worden. Je nach Lesart stehen schlussendlich zwischen 780 und 880 Mio EUR auf dem Papier. Egal, welche Zahl man jetzt genau anlegt, die tatsächlichen Kosten liegen somit um ein 10-faches höher als ursprünglich veranschlagt.
Wer diese unendliche Geschichte nachlesen will, der findet zahlreiche Quellen dazu (z.B. „Elbphilharmonie: die wichtigsten Etappen“ – NDR Dossier).
Und jetzt das Webdesign
Ähnlich wie jetzt in Hamburg freue ich mich auch immer über den Abschluss eines schwierigen Projektes, vor allem, wenn es viele Hängepartien und Fallstricken hatte und öfterdings auf der Kippe stand. Anders als bei der Elbphilharmonie sind wir Webdesigner aber nicht gezwungen, auf Gedeih und Verderb weiterzubauen. Wenn etwas so fundamental schiefgeht, wird der Auftrag eventuell mittendrin abgebrochen und das bereits fertiggestellte gelöscht. Das tut niemanden weh und mögliche Spuren im Web sind schnell verwischt, bevor sie überhaupt entdeckt werden. Sowas geht natürlich bei einem Bauprojekt in der realen Welt nicht so einfach.
Was in unserer Freiberuflerwelt aber ebensowenig geht, ist diese Diskrepanz zwischen Kalkulation und Endpreis. Eine 1000 prozentige Fehlkalkulation!
Wir übertragen das jetzt mal auf die Erstellung einer Webseite. Lasst die sauber kalkuliert mit 5.000 EUR veranschlagt sein (und bevor jetzt Leute kommen und sagen, sie machen sie viel billiger und für ein paar Seiten kann man nicht soviel Geld … blablaba – von 0 EUR bis 100.000 EUR pro Webseite gibt es alles auf der Welt!) – was meint ihr, wie der Kunde aus der Wäsche schaut, wenn ihr ihm stattdessen eine Rechnung über 50.000 € präsentiert und noch eine ordentliche, Wetten-Dass Zeitüberziehung draufgeschlagen habt.
Je nach Typus des Kunden (Handwerksbetrieb um die Ecke) kann das den Fortbestand des Unternehmens bedrohen.
Es ist ja nicht so, dass die tatsächlich abgerechneten Kosten in einem Webprojekt immer exakt dieselben sind, wie sie bei Projektstart/Angebot vereinbart wurden. Sehr häufig gibt es in einem Projekt Abänderungen („das brauchen wir jetzt doch nicht mehr“), neue Wünsche des Kunden („wir hätten gern noch …“) oder unvorhergesehene Probleme (Webhoster ändert Tarifdetails etc.), die sich auf die Kosten niederschlagen. Das ist völlig normal, wird dann sauber kommuniziert, dokumentiert (!) und die Kosten daraufhin angepasst. Dienstleister und Kunde müssen einvernehmlich klären, was diese Planänderungen für das Projekt bedeuten und kosten. Es empfiehlt sich daher, solche Eventualitäten im Vertragswerk einzubeziehen. Aber niemals kann es zu so einer Preissteigerung von 1000 % kommen. Es sei denn, dem Kunden fällt kurz vor Fertigstellung plötzlich ein, dass er doch keine einfache Webseite sondern einen Webshop haben möchte. Aber von solchen planlosen Kunden solltet ihr die Finger lassen.
Was da in Hamburg gelaufen ist, darüber kann man letztlich nur spekulieren. Aber offensichtlich kamen hier Überforderung, mangelnde Absprachen, unnötiger Zeitdruck (jaja, die Legislaturperioden …) und vielleicht auch Schlamperei zusammen. Wenn das bei einem Auftrag bezüglich Layoutänderungen an einer Webseite passiert, sind vielleicht 100 EUR futsch, bei so einem Projekt: mehrere hundert Mio EUR.
Die Enttäuschung hingegen ist sowohl in der Webwelt als auch in der realen Welt gleichermaßen groß, nur können wir Webdesigner uns solche Klopse nicht leisten. In der realen Welt werden solche Kostenkatastrophen mit den vielzitierten Steuergeldern, Haushaltsrückstellungen, Schulden und weiß der Geier was abgefedert und aufgefangen. Hamburg geht dadurch nicht pleite. Irgendwer wird einspringen (müssen). Bei uns Webworkern sieht das anders aus. Niemand wird einspringen, wenn bei euch ein fünfstelliger Auftrag platzt. Keiner wird euch mit einem Kredit oder einer Bürgschaft über Wasser halten. Ihr seid nicht systemrelevant.
Ich kann euch daher nur raten, macht alles transparent und kommuniziert lieber einmal zuviel als einmal zuwenig. Und hört auf, euch unter Wert zu verkaufen. Es bringt nichts, wenn ihr den Zuschlag nur deshalb bekommt, weil ihr der Billigste wart und vernünftige Kalkulationen unterboten habt. Nennt dem potentiellen Kunden keinen zu niedrig angesetzten Preis, nur um ihn zu beruhigen und in einer Pseudo-Sicherheit zu wiegen. In der Schlussrechnung kommt das ohnehin ans Tageslicht und manche Kunden haben ein Elefantengedächtnis. Um eure Reputation bei Preiskalkulationen ist es dann auch nicht mehr gut bestellt.
Ihr braucht einen finanziellen Puffer in den Projekten, damit ihr Unvorhergesehenes abfangen könnt. Wir reden da nicht von Extrawünschen des Auftraggebers. Das heißt dann aber nicht, dass ihr ein Projekt von vornherein fünfmal teurer veranschlagen sollt, als ihr intern kalkuliert. Soviel darf dann doch nicht schiefgehen, dass ihr das als Begründung für einen ausufernden Puffer benutzt. Je nachdem sind 20% der Projektsumme realistisch. Das hängt von eurer Arbeitsweise und Genauigkeit eurer Kalkulation ab. In Hamburg waren nach Ansicht von Experten auch die 77 Mio EUR viel zu hart auf Kante genäht.
Den meisten Kunden ist es eh viel lieber, sie zahlen von vornherein etwas mehr und kriegen von den vielen kleinen Problemchen gar nichts mit, als dass ihr bei jeder halben Stunde zusätzlicher Arbeit sofort beim Kunden mit der Meldung durchklingelt: wir haben das Budget gesprengt.
Ich will mir gar nicht vorstellen, wieviele Sondersitzungen der Projektverantwortlichen in Hamburg hätten anberaumt werden müssen, wenn es um jede einzelne zusätzliche Million gegangen wäre.
Und nehmt euch Zeit für die Kalkulation und Ausarbeitung des Lasten- und Pflichtenheftes. Wenn der Kunde fragt, warum er das denn nun auch noch bezahlen muss und ob das denn wirklich nötig sei, es wäre ja nur eine kleine Sache – ja, es ist nötig! Ob das nur eine kleine Sache ist, kann der Auftraggeber in 90% der Fälle gar nicht beurteilen. Fragt ihn, ob er bei einem Auftragsvolumen von 5.000 EUR lieber 3 Stunden in zusätzlicher Bedarfsanalyse investieren will, oder sich das spart und dann eine womögliche Kostensteigerung auf 50.000 € riskieren will (wie real das im Web auch immer sein mag). Zeitdruck und falsch verstandenes Sparen (wo war da eigentlich der kühl rechnende hanseatische Kaufmann?) dürfen hier keine Triebfedern sein. In Hamburg hat man scheinbar erst einmal drauflosgebaut und währenddessen noch Änderungswünsche entgegengenommen. Bei Webseiten ist das tödlich.
Wie ihr seht, kann man aus vielen Sachen etwas für seine eigenen Webprojekte lernen, auch wenn die auf den ersten Blick gar nichts mit Webdesign zu tun haben. Die Mechanismen und Abläufe sind aber oft dieselben oder lassen sich zumindest leicht übertragen. Wichtig ist, dass man lernt. Sowohl aus den Erfolgen anderer aber auch aus den Fehlern.